16.11.2025 - 33. Sonntag im Jahreskreis -
Bischöfin Kirsten Fehrs, Vorsitzende der EKD
Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der DBK
Am 8. Mai 1945 endete in Europa der vom nationalsozialistischen Deutschland begonnene Weltkrieg. Der Kontinent lag in Trümmern. Millionen Menschen hatten durch diesen Krieg oder durch die Vernichtungsmaschinerie des NS-Staates ihr Leben verloren.
Der Tiefpunkt deutscher Geschichte war erreicht, das Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn auf unvergleichbare Weise belastet.
Neben der befreienden Erleichterung, dass der Krieg und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft vorbei waren, prägten Schuld, Trauer, Ungewissheit und die Angst vor dem Kommenden die Stimmung des 8. Mai 1945 in Deutschland.
Erst später wurde der Mehrheit der Bevölkerung bewusst, was die entschiedenen Gegner des Nazi-Regimes und die Opfer der Gewaltherrschaft sofort begriffen hatten:
Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.
Das menschenfeindliche Herrschaftssystem des Nationalsozialismus war zerbrochen, seine menschenfeindliche, seine rassistische, antisemitische und antiziganistische Ideologie entmachtet.
Es zeichnet unsere Gesellschaft aus, dass wir am Volkstrauertag der Erinnerung an die Opfer und Verletzungen sowie dem Nachdenken über die bleibende Verantwortung, die aus alldem erwächst, Raum geben. Und es gehört zu den grundlegenden Erfahrungen unseres Landes, dass eine wahrhaftige und selbstkritische Erinnerung eine der zentralen Voraussetzungen dafür ist, dass es überhaupt zu schmerzhaften Heilungsprozessen kommen kann. Dass wir uns 80 Jahre nach dem Krieg immer noch mit ihm und seinen Folgen auseinandersetzen, zeigt, wie tief die Wunden des Krieges sind.
Die Folgen der Gewalt wirken über Generationen hinweg. Wir sind gut beraten, dies nicht zu vergessen.
Die Erinnerung an das 80-jährige Kriegsende fällt in eine Zeit, in der in Europa erneut ein Krieg stattfindet und in der die Demokratie, auch in Deutschland, von innen wie von außen angegriffen wird. Fragen von großem Ernst müssen vor dem Hintergrund unserer geschichtlichen Erfahrungen beantwortet werden: Stehen wir ein für die Demokratie, für Menschenwürde als leitendes Prinzip aller Ordnung und die gleiche Freiheit aller?
Bieten wir denen, die den Grundsatz der Gewaltfreiheit in den zwischenstaatlichen Beziehungen missachten und damit den Frieden zerstören, die Stirn?
Vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine kommen bei vielen Menschen aus der Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkriegs eigene schmerzhafte Erfahrungen hoch. Nicht wenige haben Angst. Wir schulden gerade auch diesen Menschen unsere Solidarität. Der Volkstrauertag ist ein solches Zeichen generationsübergreifender Solidarität.
Gerade im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehen wir, wie problematisch es ist, wenn Erinnerung – wie etwa in der Russischen Föderation – dazu benutzt wird, heutige Gewalt zu rechtfertigen. Das trägt nicht zur Heilung bei, schürt Angst und Hass und bringt Menschen auseinander statt zusammen. Zu einer heilsamen, Versöhnung ermöglichenden Erinnerung gehört, aufrichtig und wahrhaftig zu sein. Das gilt auch für die Bereitschaft, sich den Verletzungen der Anderen ebenso zu stellen wie den eigenen. Wenn diese Bereitschaft heute von rechtspopulistischen Kräften infrage gestellt wird, spaltet das die Gesellschaft und verstellt die Möglichkeit zur Versöhnung.
Am angemessenen Umgang mit den Toten zeigt sich die Menschlichkeit einer Gesellschaft.
Im Angesicht des Todes stellen sich die großen Fragen nach dem Sinn des menschlichen Lebens. Es ist nicht zuletzt dieser Moment gemeinsam erfahrener Verwundbarkeit, der uns Hoffnung auf die Möglichkeit eines versöhnten Miteinanders schöpfen lässt und uns neue Gemeinschaft schenkt.







